Der Abschied aus Buda fällt uns nicht leicht… Wir haben viel gearbeitet, oft sind wir abends völlig erschöpft ins Bett gefallen, und wurden doch nachts gleich wieder zu einem Kind gerufen. Wir haben unseren Auftrag hier verflucht, Rotz und Wasser geheult, uns für alles, eben auch Kinder, denen nicht mehr zu helfen war, verantwortlich gefühlt. Und jetzt sind die letzten Tage rum, die Taschen sind gepackt, Übergabe an die Nachfolgerin gemacht, und wir fragen uns natürlich: war es das wert? Die Antwort ist leicht: Ja!
Wir konnten etwas abgeben, manche würden es „Überschuss“ nennen. Unsere primäre Motivation, hierher zu kommen war, mal über unser privilegiertes Leben hinauszublicken, das Leben, in dem wir mit gutem Gehalt, 6 Wochen Jahresurlaub, funktionierendem sozialen Netz und gesetzlicher Krankenversicherung immer noch manchmal meinen Grund zum Jammern zu haben. Wir wollten endlich einmal etwas abgeben von unserem großen Glück. Dahin gehen, wo die Erreichbarkeit von Medikamenten, Operationen, lebensrettenden, und doch manchmal so banalen Behandlungen nicht so selbstverständlich ist, wie bei uns zu Hause. Schnell haben wir gemerkt, wie nötig die Hilfe gebraucht wird. Schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Buda sahen wir den ersten, etwa 10-jährigen Jungen mit Klumpfüßen, offensichtlich unbehandelt, in Deutschland undenkbar. Aber auch Kinder, die nach tagelangem Husten „aus dem letzten Loch pfeifen“ und mit ein wenig Inhalation plötzlich wieder freier atmen können…die Dankbarkeit der Eltern war manchmal kaum zu ertragen. Wo in Deutschland Eltern schimpfen, weil sie in einer vollen Wochenend-Ambulanz auch mal 2 Stunden warten müssen, da sitzen hier Eltern mit z.T. schwerstkranken Kindern, und haben alle Geduld der Welt, würden niemals drängeln, weil sie wissen, die anderen Kinder sind auch krank, und sie vertrauen (zu Recht) darauf, dass jeder so schnell wie möglich – und nötig – drankommt. Diese Eltern haben uns eine wichtige Lektion in Bescheidenheit und Demut gelehrt…
Wir gehen auf Weltreise und wollen Kontakt zu anderen Menschen und Kulturen aufnehmen…das wohl schlimmste Wochenende in unserer Zeit hier war diesbezüglich wohl das beste. Wir hatten gar nicht darüber berichtet, am ersten Juli-Wochenende waren wir Bergsteigen. Mount Dulang-Dulang, zweithöchster Berg auf dieser Insel, wir nennen ihn liebevoll „Mount Glitschi“. Im strömenden Regen 8 Stunden durch z.T. knietiefen Matsch bergauf, Übernachtung im vollständig wasserdurchlässigen Zelt und am Folgetag 6 Stunden Schlitterpartie, erneut im Regen, bergab. Mehrfach landete einer von uns mit dem Hintern in Schlammlöchern, bei einzelnen sind auch ein paar Wuttränen geflossen (…), und doch möchten wir nicht auf die Erfahrung verzichten. Mit insgesamt 15 Personen, Schwestern/Pflegern und Bergführern sowie dem Pfarrer der örtlichen Gemeinde haben wir diese Anstrengung gemeistert, und durften den Einheimischen so nahe kommen, wie es wohl sonst niemals denkbar gewesen wäre.
Trotz regelmäßiger Arztwechsel wird man in Buda sofort herzlich aufgenommen, man darf an allen Feierlichkeiten und Vergnügungen teilnehmen, fechtet aber auch ähnliche Konflikte bei der Arbeit aus, wie daheim. Man ist „mittendrin statt nur dabei“ und in ruhigen Momenten erzählen die Kollegen bereitwillig über ihre Traditionen, Besonderheiten und erklären auch ihre Macken. So weist der Philippino mit den Lippen Richtungen an und bejaht Fragen stets mit einem stummen Hochziehen der Augenbrauen. Man hat versucht, uns sämtliche kulinarischen Besonderheiten probieren zu lassen, kann immer noch nicht verstehen, dass es uns vor den halbausgebrüteten Gänseeiern graut… Einen so engen und intensiven Kontakt wie hier hätten wir auf keiner Urlaubsreise finden können…
Allein auf weiter Flur…eine philippinische Kollegin mit 2 Monaten Erfahrung als einzige Unterstützung an unserer Seite, wir waren uns Assistenz-, Ober- und Chefarzt in Personalunion. Und dann noch Frühgeborenenintensivschwester und -pfleger (an dieser Stelle Elfriede, Traudl, Helga und all den anderen vielen Dank für die gute Ausbildung!), ganz nebenbei, irgendjemand musste ja auch die Frühchen zum Trinken bringen… Bevor wir zu diesem Abenteuer aufgebrochen sind, fürchteten wir manchmal leise, dass dies eine zu lange Pause in unserer Ausbildung darstellen würde, 8 Monate raus aus der „richtigen Medizin“, da kommt man ja als Anfänger zurück nach Aschaffenburg. Alle würden uns auslachen und ständig müsse man sich von jüngeren Assistenten korrigieren lassen. Und dann steht danach auch noch die Facharztprüfung an! Manches wird – Dagmar hat es schon wieder vorher gewusst – weniger wichtig, nach dieser Erfahrung hier. Wir haben dazugelernt! Inhaltlich mehr, als wir in einem Vielfachen der Zeit in Aschaffenburg gelernt hätten.
Und persönlich, wir können es nicht anders sagen, wir sind gewachsen an dieser Aufgabe. Entscheidungen treffen ohne oberärztlichen Telefon- oder Publikumsjoker, Verantwortung dafür zu tragen, und die jungen Kollegen anzuleiten. Nach wenigen Wochen meinte Marc schon das erste Mal: „ Das wär’s doch, das hier nur für uns zwei, als Praxis mit kleinem stationären Bereich!“ Stimmt, genauso würden wir uns die perfekte Arbeit vorstellen, nur leider gibt es unseres Wissens noch keine Finanzierung für derartige Projekte…
Was für eine gute Ausbildung wir, insbesondere in Aschaffenburg, genossen haben, ist uns ebenfalls in den letzten Wochen noch einmal klar geworden. Sowohl allgemeinpädiatrisch, als auch neonatologisch fühlten wir uns stets erstaunlich sicher, in dem was wir taten. Für den Einsatz in Buda braucht man schon einige Jahre Erfahrung, die German doctors schicken hierher nur Fachärzte, die Mindestberufserfahrung von 1,5 Jahren gilt eher für andere Einsatzorte. Für unsere gute Ausbildung können wir den entsprechenden Personen in Aschaffenburg nur danken (Herr Erhardt, wir werden Sie so vermissen…).
Wir wissen schon lange, dass wir ein gutes Team sind, hätten uns sonst weder auf das Abenteuer im letzten Jahr, noch auf dieses hier eingelassen. Wie gut wir aber miteinander funktionieren, uns vor allem auch ergänzen bei der täglichen Arbeit, das haben wir erst hier herausgefunden. Selbst in den schlimmsten Stresssituationen, bei Reanimationen oder im Kreissaal war nie lange Absprache nötig, wir haben einfach zusammengearbeitet. Und wir sind stolz auf das, was wir getan haben!
Und falls nach all diesen Argumenten immer noch einer Beweise sehen will, ob es sich gelohnt hat, uns vom Dienst freizustellen, so kommen hier, als Abschiedsgruß noch ein paar Fotos… Wir präsentieren Euch ein paar unserer schwerstkranken, unterernährten Kinder aus Buda – NACH ihrer stationären Therapie:
Morgen, am 15. August verlassen wir Buda, fliegen von Davao nach Cebu, um am 16. August unseren Marathonflug zu beginnen: Cebu – HongKong – New York – Lima – Quito. Insgesamt werden wir etwa 40 Stunden unterwegs sein, incl. maximalem Flughafenaufenthalt von 3 Stunden. Melden uns dann von dort wieder…